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03.07.24

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Übersehen und unterschätzt

Bäume haben von jeher ihren Platz: Eichen als Thing und Richtstätten, die Linde im Zentrum eines Dorfes, oder, bis heute, die landschaftsprägenden alten WiesenObst Bäume am Rande der Alb. Wald ist uns wichtig – vom Ur-Wald im Märchen, bis hin zum Waldsterben. Aber Gras? Neben Wäldern sind Graslandschaften weltweit das „andere“ dominierende Ökosystem auf dem Planeten Erde. 

Steppen, Pampas und Prärien sind die Ur-Graslandschaften, die nicht weniger eindrucksvoll sind, als die Wälder Kanadas oder der Amazonas Regenwald. In seinem Roman „Giants in the Earth1“ beschreibt der norwegischamerikanische Schriftsteller O.E. Rölvaag eine Familie, die mit einem Planwagen die Prärie in den Dakotas überquert:

 „Eine kleine Karawane bahnte sich den Weg durch das hohe Gras. Die Spur, die sie hinterließ, war wie die Heckwelle eines Schiffs – nur dass sie sich Achtern nicht verbreiterte, sondern schloss“. Eine Graslandschaft von so unendlicher Weite, dass man die Orientierung verliert und verschwinden kann ohne eine Spur zu hinterlassen.


WARUM IST GRASLAND SO WICHTIG? 

Neben Wald ist Grasland das größte Ökosystem der Erde, es bedeckt rund 40% der Landfläche. Es ist Habitat für andere Pflanzen, Vögel, Insekten und Säugetiere. Unsere wichtigsten Kulturpflanzen, Getreide und Reis, gehören zur Familie der Gräser. Weltweit können aber nur ein Drittel aller landwirtschaftlichen Flächen für den Ackerbau genutzt werden. Zwei Drittel sind zu hoch gelegen, zu steil, zu nass oder zu trocken: hier wächst „nur“ Gras. Nur? Grasland ist enorm wichtig für die Nahrungsmittelproduktion: 

Kühe und andere Wiederkäuer liefern uns Fleisch und Milch, denn nur sie können dank ihrer vier Mägen Gras in Kalorien umwandeln. Grasland speichert hohe Mengen an Kohlenstoff und könnte, richtig genutzt, eine wichtige, vielleicht die wichtigste Kohlenstoffsenke sein. Den Beweis dafür liefern die „Kornkammern“ der Erde mit ihren fruchtbaren, kohlenstoffreichen Böden: „die Schwarzerdeböden (Tschernoseme) der Prärien in Nordamerika, der Ukraine, der Puszta in Ungarn, des Baragans in Rumänien, der deutschen Tieflandbuchten, sowie Kasachstans, der Mongolei und Chinas (Mandschurei) und auch der subtropischen Pampas in Argentinien und Uruguay haben nicht nur die Fruchtbarkeit gemeinsam, sondern auch ihren Ursprung: Sie sind Steppenböden2“, schreibt Anita Idel, Tierärztin und Autorin des Buches „Die Kuh ist kein Klima-Killer3“. Mit der Entwicklung des Haber-Bosch Verfahrens und der Produktion von chemischem Dünger wurde Bodenbiologie zu einem Randthema. Bodenfruchtbarkeit, so die Botschaft der Agrarchemieindustrie, lässt sich schließlich in der Tüte kaufen.

 Inzwischen wissen wir, dass Monokulturen und Agrarchemie zum Verlust von Bodenfruchtbarkeit und Bodenerosion führen. Regenerative und Biolandwirte setzten längst auf Mischkulturen, lange Rotationen und mehrjährige, artenreiche Grünlandbrachen – sprich Gräser, Kräuter und Leguminosen.

„EINE KLEINE KARAWANE BAHNTE SICH DEN WEG DURCH DAS HOHE GRAS. DIE SPUR, DIE SIE HINTERLIESS, WAR WIE DIE HECKWELLE EINES SCHIFFS – NUR DASS SIE SICH ACHTERN NICHT VERBREITERTE, SONDERN SCHLOSS“


WIE MACHEN GRÄSER DAS? 

In gewisser Weise kann man Gräser mit Eisbergen vergleichen: nur ein kleiner Teil ist sichtbar, die Hauptmasse befindet sich im Boden, oder, im Fall von Eisbergen, unter Wasser. Während die meisten anderen Pflanzen den größeren Teil ihrer Energie in das oberirdische Wachstum stecken, investieren Gräser ins Wurzelwachstum. Und es sind diese enormen Wurzelmassen und Wurzelexudate die zusammen mit Mykorrhizen und Bodenlebewesen, Grasland zur Kohlenstoffsenke machen. Und nicht nur das: wegen des dichten Wurzelgeflechts kann Grasland hohe Wassermengen aufnehmen und speichern, was gerade im Blick auf die Klimakrise wichtig ist. Dank solcher „Wasservorräte“ haben alle Pflanzen in Dürrephasen bessere Überlebenschancen.

Beweidung verbessert das System, es löst bei Gräsern einen Wachstumsimpuls aus. Wiesen zu mähen hat nicht denselben Effekt, und das nicht nur weil Mähmaschinen keine düngenden Kuhfladen hinterlassen: der Wachstumspunkt von Gräsern liegt tief, ganz anders als bei Büschen und Bäumen. Die wachsen aus den Sprossspitzen heraus – oder auch nicht, dann nämlich, wenn beispielsweise eine Kuh den Spross frisst. Gräser können überall wachsen wo auch Bäume gedeihen – und zusätzlich in Gegenden, in denen Bäume keine Chance haben. Sie sind extrem anpassungsfähig und kommen mit Kälte, Hitze, Nässe und Trockenheit besser zurecht als viele Blattpflanzen. 

WIESENOBST, WASSER UND HABITAT 

Dass Graslandschaften wie Prärien in den USA ihren Platz haben wird zumindest jedem Western Fan einleuchten. Aber in Deutschland? Trotz aller mythischen Beziehungen zum Wald, nicht überall standen von jeher die Bäume dicht an dicht. „Wir leben (...) nicht in einer Weltgegend, die komplett zuwachsen sollte, wenn wir die Artenvielfalt erhalten wollen, die wir von der Klimageschichte und der Evolution unseres Kontinents geerbt haben“, schreibt Florian Schwinn in „Die Klima Kuh4“. Nach der letzten Eiszeit entstanden zunächst Steppen, und unsere Vorfahren waren in „halboffenen Weidelandschaften“ zuhause. Das sei nicht nur unser „Psychotop“, eine Landschaft, in der sich die meisten Menschen „rundum zuhause fühlen“, sagt Schwinn, unsere Landschaft brauche offene Flächen. Womit wir bei WiesenObst wären. Die Wälder, aus denen die WiesenObst Bäume ursprünglich stammen sind lichte Wälder mit Lichtungen. Heute wachsen die Bäume am Rande der Schwäbischen Alb, oft an steilen Hängen. Mit ihren langen Wurzeln sind sie tief im Boden verankert, aber dass dieser Boden nicht von Sturzregen weggeschwemmt wird oder bei Dürre aufreißt, das liegt am Gras, das zwischen den Bäumen wächst und den Boden schützend bedeckt. Die Baum Rhizosphäre ist für Gräser von Vorteil, genauso wie die Bäume von der Präsenz der Gräser und denn dazwischen gedeihenden Kräuter und Blühpflanzen profitieren. 

Gemeinsam bilden sie ein Refugium für eine Vielzahl von Insekten, Vögel, Kleinstlebewesen und Säugetiere. Es sind die WiesenObst Wiesen die eine Reihe bedrohter Arten vor dem Aussterben bewahren. Wiesen- Obst verbindet die beiden wichtigsten Ökosysteme der Welt in einmaliger Weise und die Nutzung der Früchte schützt diese Einmaligkeit.

"IN GEWISSER WEISE KANN MAN GRÄSER MIT EISBERGEN VERGLEICHEN: NUR EIN KLEINER TEIL IST SICHTBAR, DIE HAUPTMASSE BEFINDET SICH IM BODEN, ODER, IM FALL VON EISBERGEN, UNTER WASSER."

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