07.04.25

Über die wilde Herde im Untergrund
Regenwürmer sind die vermutlich bekanntesten Bodenlebewesen, wobei wohl die wenigsten von uns die 49 in Deutschland lebenden Arten auseinanderhalten können. Auch bei Regenwürmern herrscht Aufgabenteilung: während manche sich an der Bodenoberfläche mdurch Laub und Vegetationsreste fressen, graben andere vertikale Tunnel, um pflanzliches Material in die Tiefe zu ziehen, und wieder andere legen horizontale Röhren an. Aber wirklich abenteuerlich wird es beim Blick durch ein Elektronenmikroskop auf die Bodenlebewesen, die wir mit bloßem Auge nicht sehen können: rundlich, länglich oder amorph in der Form, oft durchscheinend,
schillernd und pulsierend, ausgestattet mit Zangen, Rüsseln oder mittelalterlich anmutenden Schneidwerkzeugen. In einem einzigen Teelöffel guter Gartenerde oder Ackerbodens leben mehr Mikroorganismen und Bakterien als es Menschen auf unserem Planeten gibt, und je größer und vielfältiger diese unterirdische Herde der Bodenorganismen ist, desto besser ist die Bodenqualität.
KOHLENHYDRATE MACHEN GLÜCKLICH
Bodenorganismen leben nicht von Pasta, aber Kohlehydrate sind für sie genauso wichtig wie für uns. Sie bestehen aus einfachen und komplexen Zuckern, die aus Kohlenstoff gebildet werden. Pflanzen, sind oberirdische Zuckerfabriken die mit Hilfe von Solarenergie CO2 aus der Luft verarbeiten. Einen Teil des hergestellten Zuckers brauchen die Pflanzen selbst zum Wachsen, der Rest geht in das unterirdische Versand- und Vertriebssystem in den Wurzeln. Geliefert wird nur an Direktzahler – Bodenorganismen die von der Pflanze benötigte Nährstoffe liefern, bekommen im Austausch Zucker und werden damit schmackhaft für andere Bodenorganismen. Die Sitten sind rau, „Fressen und gefressen werden” heißt das Motto.
„IN EINEM EINZIGEN TEELÖFFEL GUTER GARTENERDE ODER
ACKERBODENS LEBEN MEHR MIKROORGANISMEN UND
BAKTERIEN ALS ES MENSCHEN AUF UNSEREM PLANETEN GIBT. “
KREISLAUFWIRTSCHAFT
Kohlenstoff ist der wichtigste Grundbaustein allen Lebens auf der Erde, ein „Rohstoff”, der freigesetzt wird, sobald ein Organismus stirbt. Boden nimmt also über Bodenlebewesen nicht nur Kohlenstoff auf, sondern setzt beispielsweise über Verrottung auch wieder Kohlenstoff in Form von CO₂ frei.
Neben diesem „Boden – Luft – Boden“-Kohlenstoff-Kreislauf gibt es aber auch „stabilen” Kohlenstoff, der oft über lange Zeit im Boden bleibt.
Wir Menschen haben durch die Energiegewinnung aus fossilen Brennstoffen riesige Mengen CO₂ freigesetzt und das „System Erde” völlig aus dem Gleichgewicht gebracht. Mit den richtigen landwirtschaftlichen Praktiken können wir die langfristige Einlagerung von Kohlenstoff jedoch fördern und damit der Klimakrise entgegenwirken.
Die Gefahr liegt darin, daraus ein Geschäftsmodell machen zu wollen. Kohlenstoffneutralität ist inzwischen ein anerkanntes Ziel. „Verschmutzer” sollen Emissionen ausgleichen und die Landwirtschaft soll dabei helfen: Die Landwirte lagern Kohlenstoff in ihren Feldern dauerhaft ein, dafür werden Kohlenstoffzertifikate erstellt, die „Verschmutzer” – von Industrie bis Vielflieger – zum Ausgleich kaufen können.
Je mehr Kohlenstoff der Landwirt im Boden sequestrieren kann, desto mehr Geld kann er verdienen. So jedenfalls die Theorie...
Den Kohlenstoffgehalt im Boden zu messen ist schwierig, weil die Messwerte selbst auf einer kleinen Fläche stark variieren können. Und was passiert, wenn am Ende des Vertrags die Zielwerte nicht erreicht werden?
LUFT UND WASSER
Kohlenstoff im Boden hat vielfältige Funktionen. Er ist nicht nur Futter für die Herde der Mikroorganismen, sondern er kann auch Bindungen mit mineralischen Bodenpartikeln eingehen. Das ist die Voraussetzung für die Entstehung der lockeren Struktur, die „guten“ Boden ausmacht: Er enthält viel Luft – das ist wichtig, auch Mikroorganismen brauchen Sauerstoff – und bei Regen kann Wasser nicht nur aufgenommen, sondern auch gespeichert werden.
Zu den Folgen der Klimakrise gehören höhere Temperaturen, häufigere und längere Dürrephasen sowie die Gefahr von Sturzregen. Bei einem hohen Anteil organischer (kohlenstoffreicher) Bodensubstanz und guter Bodenstruktur kann mehr Wasser gespeichert werden, was den Pflanzen in Trockenphasen dann zur Verfügung steht.
LABIL, STABIL ODER FLIESSEND...
Unsere Böden haben sehr unterschiedliche Zusammensetzungen – sie können lehmig sein oder sandig, sie enthalten Ton oder Schluff (verwittertes Gestein). Mit der Zusammensetzung ändern sich die Lebensbedingungen für Pflanzen, Mikroorganismen und Bodenpilze. Dazu kommen die Größe der vorhandenen Bodenpartikel, Temperaturen und Witterungsverhältnisse.
Zusammengenommen sind das einige der Parameter, die darüber entscheiden, wie lange Kohlenstoff im Boden bleibt. Bricht beispielsweise bei den Mikroorganismen eine Hungersnot aus, weil nicht genug Zucker geliefert wird, dann können Bodenpilze Stoffe freisetzen, die Kohlenstoff aus den Mineralverbindungen lösen.
Statt von „labil“ oder „stabil“ sprechen Bodenwissenschaftler daher inzwischen von „dynamisch“ oder „fließend“: Kohlenstoff kann in die Luft entweichen, aber auch in tiefere Bodenschichten absinken.
Die meisten Mikroorganismen leben in den oberen Bodenschichten und in der unmittelbaren Umgebung von Wurzeln, und dort ist der Bedarf an Kohlenstoff-Futter besonders hoch. Nicht benötigter Kohlenstoff ist meist an Mineralien gebunden und „sinkt“ mit der Zeit in tiefere Bodenschichten, wo er über extrem lange Zeiträume bleiben kann.
Konkret heißt das: Je größer und vielfältiger die Herde der Lebewesen im Untergrund ist, und je besser sie gefüttert wird, desto besser ist das Pflanzenwachstum, die Bodenstruktur, die Wasserverfügbarkeit und die in tiefen Bodenschichten gelagerte Kohlenstoffmenge.
Boden gut, alles gut: 5 einfache Tipps für den Herbst
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Ein sauber gefegter Garten
Sieht im Herbst ordentlich aus – aber: Laub ist Futter!
Es verrottet über den Winter und macht Regenwürmer & Co. glücklich. -
Kompostieren:
Ihre Küchenabfälle können als Kompost Myriaden von Mikroorganismen ernähren. -
Vielfalt bitte!
Unterschiedliche Pflanzen brauchen unterschiedliche Nährstoffe – und entsprechend unterschiedlich sind die Mikroorganismen, die sich in ihrer Nähe aufhalten. -
Boden nicht brach liegen lassen.
Im Winter Bodendecker säen, mit Laub abdecken oder mulchen. -
Nicht umgraben!
Und keine unteren Bodenschichten nach oben befördern.
Für Bodenorganismen kommt das einem schweren Erdbeben gleich.
Was würden Sie sagen, wenn sich der Keller auf einmal da befindet, wo vorher das Dach war?