07.04.25

Sorten und ihr Ursprung
Agrarchemie – Dünger und Pestizide erleichterten den Anbau und wurden durch den staatlichen „Generalobstbauplan” gefördert. Das führte zu einem völligen Wandel in der Landschaft. Landwirte wurden dafür bezahlt, große Baumformen mit Hochstamm oder auf stark wachsenden Unterlagen zu roden. In den großen Anbauregionen entstand ein flächiger Obstbau auf kleinen, schwach wachsenden Baumformen.
Gute alte Tafelsorten verschwanden, da der gewohnte Geschmack durch die veränderte Versorgung über das kleine Wurzelwerk der schwachen Unterlagen nicht mehr gewährleistet war. Neue Sorten, angepasst an kleinwüchsige Baumformen, wurden gezüchtet und im Markt etabliert. Durch entsprechende Züchtung und mit Hilfe verbesserter Kühlung stieg die Lagerfähigkeit. Ein Tafelapfel, der früher im Naturkeller im Herbst eingelagert wurde, hatte im Frühjahr ganz natürlich an Festigkeit verloren – leichte Runzeln waren üblich.
Alte Sorten in flächig bedeutsamem Umfang haben sich nur im Bereich des Wirtschaftsobstes erhalten. Hier waren sie weiter gefragt: zum Destillieren, zur Herstellung von Obstweinen oder gar Obstschaumweinen.
Waren im 19. Jahrhundert das Dörren von Früchten – insbesondere von Birnen wie der Palmsche Birne oder der Nägelesbirne – noch von großer Bedeutung, hat sich mit der Industrialisierung der Landwirtschaft und der billigen Zuckerproduktion aus Zuckerrübe oder Zuckerrohr die Rolle der Birne als Zuckerlieferant erübrigt. Im 19. Jahrhundert wurden in allen Gemeinden in Württemberg Gemeindedarren (Trocknungen) betrieben, um dort die Früchte bei milder Hitze schonend trocknen zu können. Auf ein Fünftel des Ausgangsgewichts reduziert, konnten so die Birnen mit ledriger Haut und weichem Fruchtfleisch ohne Kühlung konserviert werden, um dann im Winter meist eingeweicht als Zubrot zur Speise als Zuckerlieferant zu fungieren.
Einmal Stuttgarter Gaishirtle anzubauen war für mich ein Traum seit Kindertagen – obwohl damals fast alle, die sich mit Obstbau professionell beschäftigten, den extensiven Anbau nicht für zukunftsfähig hielten. Stark wachsende Baumformen galten als bessere Brennholzlieferanten.
Lange bevor die Manufaktur Jörg Geiger sich mit Schaumwein aus der Champagner Bratbirne oder gar den alkoholfreien PriSeccos beschäftigte, stand über Jahrzehnte die Destillation von alten Obstsorten im Fokus.
Bei der Arbeit mit alten Obstsorten wurde mir bald klar, dass die Erhaltung dieser Obstsorten nur dann Sinn ergibt, wenn wir wieder verstehen, warum diese ursprünglich aus der Natur selektiert, umfangreich vermehrt und angebaut wurden. Die Welt hatte sich verändert, der Geschmack hatte sich verändert – blieb da noch Platz für alte Sorten?
„DIE WURZELN DER MANUFAKTUR, ALSO DIE OBSTDESTILLATION
BEWAHREN WIR AUCH HEUTE NOCH, DENN DER ALKOHOL IST DIE BESTE
MÖGLICHKEIT, DIE AROMEN DER NATUR ÜBER JAHRZEHNTE ZU
KONSERVIEREN UND FÜR UNS ERLEBBAR ZU MACHEN..."
Im Tafelobstanbau sind alte Sorten etwas für Liebhaber – mit dem geringeren Ertragspotenzial und der Notwendigkeit, um gute Qualität zu erzeugen, auf stark wachsenden Baumformen mit spätem Ertragseintritt zu pflanzen, muss der Preis für solche Obstsorten um ein Vielfaches höher sein als der, den wir heute gewohnt sind zu bezahlen.
Insbesondere bei Wirtschaftsbirnen fehlte in den letzten 100 Jahren das Interesse an einer weiteren Entwicklung. Bedingt auch durch die Klimakrise sind Rekordernten extrem selten. Mit neuen, widerstandsfähigeren Unterlagen, so die Überlegung, würden wir die alten Birnensorten erhalten können.
Der Freundschaft mit Walter Hartmann und guten Beziehungen zu Thomas Hepperle, dem heutigen Vorsitzenden des Vereins „Rettet die Champagnerbirne“, war es zu verdanken, dass die 25 besten alten Weinbirnensorten aus Baden-Württemberg auf neue Unterlagen aufgepfropft werden konnten.
Von 2009 bis 2016 wurde mit rund 2500 Bäumen der erste Anbauversuch für Mostbirnen gestartet. Waren es anfangs nur zarte Pflänzchen, so sieht man heute sehr wohl an den verschiedenen Standorten rund um Schlat, unter welchen Bedingungen – bezogen auf die Höhenlage, die Exposition, die Bewirtschaftung und den Boden – sich die verschiedenen Sorten jeweils am besten bewähren.
Bei der Manufaktur Jörg Geiger verwenden wir anfallende Gewinne auch zur Unterstützung der Stiftung zur Erhaltung und Förderung alter Obstsorten und bäuerlicher Landwirtschaft. Aufgabe der Stiftung ist neben dem Erhalt alter Wiesenobstflächen, der Gesellschaft wieder etwas zurückzugeben.
Die Züchtung von alten Mostbirnen wird dadurch gesichert und finanziert. Wir nehmen die Herausforderungen an und werden in den nächsten 20 Jahren aus den Kreuzungen der letzten fünf Jahre versuchen, die besten fünf aus den aktuellen 3000 neuen Individuen heraus zu selektieren.
Eine sehr spannende Aufgabe, bei der hoffentlich viel an die Gesellschaft mit Hilfe unserer Stiftung zurückgegeben werden kann.
„...BEIM GENUSS STEHT FÜR MICH STETS DAS RIECHEN IM VORDERGRUND,
DER GESCHMACK UND DER NACHDRUCK DURCH DEN ALKOHOL KOMPLETTIEREN
NUR DAS GESAMTBILD. DER ALKOHOL IST NUR MITTEL ZUM ZWECK."
WIESENOBST HAT SEINE EIGENEN REGELN – AUCH BEI DER ERNTE
Die Ernte der alten Sorten gestaltet sich recht aufwändig. Am Anfang, bedingt durch hohe Außentemperaturen und sehr schnell teigig reifende Sorten wie der Nägeles Birne und der Palmischbirne, muss alle zwei Tage aus der Wiese gelesen oder von den ausgelegten Netzen abgesammelt werden. Die umgehende Verarbeitung oder schnelle Kühlung ist Voraussetzung zur Erhaltung der Qualität im verarbeiteten Produkt.
Um den 5. September ändert sich die Vorgehensweise – nun sind nicht mehr die Sommerbirnen im Fokus, es beginnen die Herbstbirnen zu fallen. Diese sind in der Regel von fester Konsistenz, wenn sie mit maximaler Baumreife den Weg in die Wiese suchen. Die Früchte sind in diesem Stadium nicht reif zur Verarbeitung. Die gelesenen, festen Früchte sind in der Regel grün und verströmen noch nicht den intensiven Duft der Birne, sondern halten Mensch wie Tier durch die vorherrschenden Gerbstoffe und Bitternoten vom Verzehr ab.
Mit den von Jahr zu Jahr steigenden Temperaturen wurde die Nachreifung zu Beginn der Ernte – bei hohen Außentemperaturen und einer parallel einsetzenden Milch- oder Essigsäurebildung – immer schwerer möglich. Mit der diesjährigen Ernte können wir nun erstmals über speziell eingerichtete Reifekammern sowohl die Früchte kühlen als auch den Reifeverlauf über die Parameter CO₂, Sauerstoff und Ethylen optimal steuern. Die notwendige Energie dazu liefert uns die Sonne über die ebenfalls installierte PV-Anlage.
Die Ernte für jede Sorte erstreckt sich über 3–5 Wochen und ist entsprechend der Blühdauer der Birnbäume über einen weiten Zeitraum ausgedehnt. Das Erntefenster verlängert sich nochmals, sobald von süd- oder nordexponierten Lagen die Ernte angeliefert wird.
Den Abschluss ab Mitte Oktober bilden dann die Winterbirnen. Diese benötigen nicht nur eine lange Nachreifezeit von oft bis zu vier Wochen – das weitere Mazerieren der zerkleinerten Fruchtstücke in der Presse ist zusätzlich notwendig, um hier die Polymerisation der in weit höherer Konzentration vorhandenen grün-grasigen Gerbstoffe soweit voranzutreiben, dass sensorisch ein harmonischer Saft von der Presse nach 12–24 Stunden Standzeit ablaufen kann.